Das wilde Ufer by Robinson Kim Stanley

Das wilde Ufer by Robinson Kim Stanley

Autor:Robinson, Kim Stanley [Stanley, Robinson Kim]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: WILHELM HEYNE VERLAG
veröffentlicht: 2016-11-10T23:00:00+00:00


Kapitel II. Die internationale Insel

Zwischen zwei Rosensträuchern mit gelben Blüten stand eine hochgewachsene weiße Frau mit einer Gartenschere in der Hand. Obwohl sie sich nicht sehr ähnlich sahen, war sie eindeutig Hadakas Mutter. Als sie mich gewahrte, klapperte sie ungehalten mit der Schere.

»Wer ist das denn?«, rief sie, und Hadaka senkte den Kopf. »Hast du schon wieder einen mit nach Hause gebracht?«

»Ich hab ihn dabei erwischt, wie er am verbotenen Strand an Land gehen wollte, Mutter, und ich wusste sofort, dass er vom Festland kommt …«

»Schweig! Das habe ich schon mal gehört.«

Ich ergriff das Wort. »Ich bin Ihnen und Ihrer Tochter überaus dankbar, dass Sie mir das Leben gerettet haben.«

»Das ist Wasser auf die Mühlen deines Vaters«, schäumte Hadakas Mutter. Dann zu mir: »Niemand hätte Sie getötet, wenn Sie nicht zu fliehen versucht hätten.«

Sie klapperte wieder mit der Schere. »Kommt schon rein und wascht euch.« Sie rümpfte die Nase, als ich an ihr vorbeiging, und schleimverschmiert und voller Schuppen wie ich war, konnte ich es ihr nicht verübeln. Ich kam mir tatsächlich vor wie ein Barbar. In einem gekachelten Raum wusch ich mich unter einer Dusche, die Wasser von eiskalt bis kochendheiß spendete, ganz so wie man es sich wünschte. Mrs. Nisha (so lautete der Name der Familie) brachte mir einige Kleidungsstücke und einen summenden Rasierer, dessen Gebrauch sie mir erklärte. Als ich diese Prozedur hinter mir hatte, stand ich vor einem perfekten Spiegel, bekleidet mit einer grauen Hose und einem hellblauen Hemd: ein Kosmopolit.

Hadakas Vater regte sich über meine Anwesenheit sehr viel weniger auf als seine Frau. Mr. Nisha schüttelte mir die Hand und lud mich in seinem harten Englisch ein, sein Gast zu sein. Er war Japaner, wie ich vielleicht noch nicht mitgeteilt habe, und er sah Hadaka sehr ähnlich, obwohl seine Haut dunkler war. Er war ein gutes Stück kleiner als Mrs. Nisha.

»Ich besorge Papiere«, meinte er, nachdem Hadaka ihm die Geschichte meiner Ankunft erzählt hatte. »Ich besorge Papiere, Sie arbeiten einige Zeit für mich. In Ordnung?«

»In Ordnung.«

Er stellte mir mindestens hundert Fragen, und nachdem ich die beantwortet hatte, hundert mehr. Mr. Nisha arbeitete bei der japanischen Regierung der Kanalinseln, und zwar in der Abteilung, die für die dort lebenden Amerikaner zuständig war. Dort hatte er Mrs. Nisha kennengelernt, die vor zwanzig Jahren den Kanal genauso überquert hatte wie ich. Mr. Nisha hatte seine Finger auch noch in einem ganzen Dutzend anderer Geschäfte, von denen die meisten illegaler Natur waren. Doch das erkannte ich erst nach etwa einer Woche. Am ersten Abend jedenfalls versicherte ich ihm, dass ich ihm in jeder Hinsicht zu Diensten sein wollte. Nach unserem Gespräch bereiteten sie mir ein Nachtlager in ihrem Gartenhaus.

Innerhalb einer Woche besaß ich Papiere, die bezeugten, dass ich auf Catalina geboren war und für die Japaner arbeitete. Danach konnte ich mich überall frei bewegen, und Mr. Nisha ließ mich mit Hadaka zum Fischen aufs Meer hinausfahren und wies mir einige Gartenarbeiten zu. Nach dieser Probezeit ließ er mich schwere braune Pakete mit Fremden in den Straßen von Avalon tauschen,



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